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Nach Menkes Gaukarte von Deutschland liegt der Harzgau ungefähr zwischen der Bode, dem Gr. Bruchgraben, der Oker und dem Kamme des Harzes. Genau genommen verläuft die Grenze von Oschersleben an der Bode entlang bis zum Zusammenfluß von Bode und Selke etwas unter Hedersleben, von hier zwischen beiden Flüssen hin, dann über die Selke bis an die obere Wipper, so daß Rieder und Ballenstedt außerhalb des Harzgaus liegen. Von der Wipper verläuft die Grenze in ziemlich gerader Richtung über den Brocken bis zur Oker, so daß Siptenfelde noch innerhalb des Harzgaus liegt; von hier die Oker abwärts bis fast nach Stötterlingenburg und von hier bis an den Bruchgraben, so daß Osterwieck und Rohrsheim noch im Harzgau liegen. Eine sichere Grenzangabe hat sich jedoch bis heute als unmöglich erwiesen.

Die deutsche Sprache zerfällt in zwei Hauptmundarten, in die hochdeutsche und niederdeutsche Mundart. Die Spaltung soll etwa zwischen 400 und 700 eingetreten sein. Während nämlich das Niederdeutsche die alten Konsonanten bis heute bewahrt hat, hat das Hochdeutsche gewisse Konsonanten verschoben. Diese Konsonantenverschiebung nennt man die althochdeutsche Lautverschiebung, die von dem Dänen Rask geahnt, von Jacob Grimm nachgewiesen ist. Sie ist das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen Hoch- und Niederdeutsch. Verschoben ist besonders t zu z (tz), ss, ß; d zu t; p zu pf, f, ff; k zu ch, z. B. tân Zahn, weiten Weizen, sitten sitzen, wetten wissen, fleiten fließen; daun tun, dach Tag, bitîden beizeiten; pärt Pferd, lôp Lauf, dräpen treffen, kop Kopf; rôken rauchen, lok Loch. Hinzu kommt als zweites Erkennungszeichen des Hochdeutschen die sogenannte Bayerische Lautverschiebung, die durch Luthers Bibelübersetzung in der Schriftsprache und der Umgangssprache der Gebildeten allgemein üblich wurde und darin besteht, daß die alten langen Vokale i und u zu ei und au (äu) wurden, z. B. mein Haus (Häuser), mittelhochdeutsch mîn hûs (hiuser).

Der Zeit nach teilt man die deutsche Sprache ein in Althochdeutsch und Altniederdeutsch oder Altsächsich (750 – 1100), Mittelhochdeutsch und Mittelniederdeutsch (1100 – 1500), Neuhochdeutsch und Neuniederdeutsch (seit 1500).

Man unterscheidet ferner Schriftsprache und Mundart. Mundart ist Vokssprache und steht im Gegensatz zu der von Luther durch seine Bibelübersetzung begründeten neuhochdeutschen Schriftsprache. Der Ausdruck Mundart und mundartlich ist dem Volke eigentlich fremd und erst in jüngster Zeit bekannt geworden. Es gebraucht dafür den Ausdruck Plattdeutsch oder Platt, und zwar im niederdeutschen und hochdeutschen Sprachgebiet. Unter Platt nur Niederdeutsch zu verstehen, wie es bisher üblich war, ist einseitig. Auch der Mitteldeutsche und Oberdeutsche behauptet, platt zu sprechen, wenn er sich der Volksmundart bedient. Daher kann man von einem niederdeutschen, mitteldeutschen und oberdeutschen Platt sprechen. Das Eigenschaftswort platt, von der Sprache gebraucht, bedeutet niedrig, unfein, grob, während hoch in Hochdeutsch fein, vornehm bedeutet. Die Zahl der deutschen Mundarten ist sehr groß, auch im Harzgau gibt es nicht nur eine, sondern mehrere Mundarten.

Der Harzgau wird zuerst in einer Urkunde des Kaisers Ludwig des Frommen aus dem Jahre 814 genannt, und zwar in der hochdeutschen Form Hartingowe. Nach den Jahrbüchern von Fulda zum Jahre 852 wurde der Harzgau von den Haruden bewohnt und nach ihnen der Harudengau (Harudorum pagus) genannt. Harud, woraus Hard, Hart, Harz wurde, bedeutet Wald, Waldgebirge, und die Haruden sind die An- oder Bewohner des Harud.

Der Harzgau ist zu verschiedenen Zeiten und von Angehörigen verschiedener Volksstämme besiedelt, woraus sich die Mannigfaltikeit seiner Mundarten erklärt. Im ganzen deutschen Reiche gibt es kaum ein Gebiet, in dem sich auf so beschränktem Raume eine solche Mannigfaltikeit der Dialekte und der Bevölkerung wiederfindet, aber auch kaum eins, das so gut erforscht ist wie dieses. Schon in vorgeschichtlicher Zeit war der Harzgau bewohnt, aber wir kennen weder den Namen noch die Mundart dieser Bevölkerung. Zu Cäsars Zeit trennte der endlose Baceniswald die Cherusker und Sueben (Schwaben) und hinderte sie wie eine natürliche Mauer an gegenseitigen Uebergriffen. Er war also noch unbesiedelt. Wie fünfzig Jahre später die Cherusker vom Teutoburger Walde ostwärts bis zur Oker wohnten, so vermutlich auch schon zu Cäsars Zeit. Der Baceniswald hat demnach den Harz und die Gebirge westlich bis zur Weser umfaßt. Südlich davon saßen die Sueden. Wer damals den Harzgau bewohnte ist unbekannt.

Nach dem Jahre 174 n. Chr. begann der große Suedenauszug, der das Land von der Havel bis zum Harz entvölkerte. In das von den Sueden verlassene Gebiet wanderte das aus Schonen in Schweden stammende Volk der Warnen und Heruler ein, von dem alle die Orte gegründet wurden, deren Namen auf – leben = Nachlaß, Erbe enden. Auch im östlichen Teil des Harzgaus bis an die Ilse und an den Gr. Fallstein haben sie sich niedergelassen, wie die Orte Weddersleben, Harsleben, Wegeleben, Emersleben, Oschersleben, Dedeleben, Badersleben, Minsleben und verschiedene Wüstungen bezeugen. Wasserleben gehört nicht dazu, sein Name lautet früher Waterler(e). Der Ortsname Warnstedt hängt wohl nicht mit dem Volksnamen der Warnen zusammen. Neben diesen Orten findet sich im Harzgau und angrenzenden Gebiete noch eine Anzahl Orte, deren Namen in Schweden wiederkehren. „Dem deutschen Göttingen entspricht dort Göinge, dem holländischen Groningen in Ostergötland Gröninge, Quedlin (burg, älter Quidiling-) ist schwedisch Kvillinge“. Aber auf der Grenze des Harz- und Schwabengaus liegt auch ein Gröningen; Helsungen bei Blankenburg erinnert an Helsinge auf Seeland und an Helsingör, Helsinborg zu beiden Seiten des Sundes. Schöningen, älter Scheningen, Helmstedt und Warberg kehren in Schweden als Skeninge, Halmstad und Varberg, Lerbach am Westrande des Harzes als Lärbäck wieder. Derenburg und Hornburg entsprechen vielleicht dänischem Taarnborg und Hornborg, Halberstadt schwedischem Alvestad, norwegischem Halvstad. Diese Wiederkehr derselben Ortsnamen in Schweden und Dänemark zwingt zu der Annahme einer zahlreichen nordischen Einwanderung in Deutschland und besonders in den Harzgau. Auch die schon als Bewohner des Harzgaus erwähnten Haruden, die alten Bewohner Seelands und Nachbarn der Kimbern im nördlichen Jütland, sind Nordgermanen und stammten wohl aus Norwegen, wo ihr Name Harothi (altnordisch Hördar) lautete. Sie sind vielleicht mit den Warnen oder schon vor diesen eingewandert, denn auch Caesar kennt bereits Haruden am Rhein; eine Auswanderung aus dem Gebiet des Harzgaus nach dem Norden ist unwahrscheinlich. Unter diesen Umständen sollte man meinen, daß sich noch nordische Sprachreste im Harzgau finden müßten. Um das festzustellen, wären besonders die schwedischen Mundarten zum Vergleich heranzuziehen. Nordisch ist wahrscheinlich der aus dem deutschen Sprachschatz nicht zu erklärende Name Brocken, der in älterer Zeit meist Brockenberg, Brokenberg, einmal sogar Brocenberg genannt wird. Im Isländischen bedeutet brok „weißliche, die Berggipfel einhüllende Woken“, Brok- oder Brokenberg ist also ein Wolkenberg. Vielleicht ist auch Regen – in dem Namen Regenstein nordischer Herkunft. Es ist dasselbe Wort wie gotisches ragin „Rat, Beschluß“, das altnordisch angelsächsisch, altsächsisch regin lautet, aber nur als Verstärkung dient, z. B. reginfiöl = sehr hohe Berge. Daher Regenstein = sehr hoher Stein. Die Ableitung von dem Personennamen Regino ist verfehlt, vom got. ragin abzulehnen, weil im Harzgau nie Goten gesessen haben. Noch auf ein paar andere Worte sei hingewiesen. Schwedisch pojke, das peuke gesprochen wird, in Schonen pôg, bedeutet Knabe; im Harzgau ist pôk ein Kind, meist Knabe, besonders in der Schelte schmärpôk. Schwedisch luta sig = sich lehnen an oder gegen etwas erscheint in unserem sek ân-lûtjen von kleinen Kindern, die sich an die Brust der Mutter oder Wärterin lehnen, um zu schlafen. Unser prâtjeln = sprechen entspricht schwedisch. prata = schwatzen. Der Heimburger Flurname das engeleik erinnert an schwed. äng „Wiese, Anger“ und lêk Spiel, gotisch laiks Tanz (die Goten stammen aus Schweden). Ob der Tierstein beim Osterholz eine Erinnerung an den nordischen Gott Tor enthält? Mit dem Worte Thie hängt er nicht zusammen. mulsch = verfault, vermodert (mit ausgefallenem t) erinnert an schwed.  multen morsch, multna modern; botterschwarwe, hölzterne Schraubdose, um Fallersleben – swerbe, an schwed. svarfva drechseln. Die in Schweden häufige Endung –else findet sich im Harzgau zu –els gekürzt in hakkels (schwed. hackelse Häckerling), schtekkels, zuppels, schtippels, schrâpels, schlêpels, schtrûpels. holster lautet schwed. hölster, got. hulistr; kwêse, blautkwêse lautet schwed. kvesa.

Außer den skandinavischen Warnen und Herulern und den Haruden sind im 6. Jahrhundert auch nordalbingische Sachsen aus Schleswig-Holsteine eingewandert. Das beweist der hier auftretende Zetazismus, d. h. die diesen Sachsen eigentümliche Aussprache des k wie z, tz, sc. Reste davon haben sich bis heute erhalten. Der Ort Zilly erscheint urkundlich 944 als Kinlinga, 1214 als Scillege; die Wüstung Meklenfeld bei Westerhausen 1209 – 1227 als Mekelenvelde, 1137 als Mescelenvelde; Mulmcke bei Heudeber 1011 Mulbizi, 1209 – 27 Mulbike; die Isenburg bei Station Börnecke 1062 Isimiziburg, im 13. Jahrhundert Hisimekeburg. Um 1860 – 70 führte ein Harzburger den Spitznamen pânzäwle. Zäwel ist dasselbe Wort wie Käfer.

 Jüngeren Ursprungs sind die Siedlungen mit der Namensgebung –rode, die erst seit der Mitte des 9. Jahrhunderts im Harzgau nachweisbar sind. Woher die Gründer dieser Orte kamen, ist unbekannt. Die ingerode-Orte sind sicher keine Siedlungen der 1072 nach dem gewanderten Nordalbinger.

Flämischer Herkunft ist wahrscheinlich Westerhausen.